8 FORUM der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes Nr. 81, Oktober 2022 in Zusammenhang mit Gewaltaus- übung stehen, zu modifizieren. Wei- terhin habe ich gemeinsam mit inter- nationalen und lokalen afrikanischen Kolleg*innen klinische und familien- bezogene Interventionsansätze ent- wickelt, adaptiert, umgesetzt und evaluiert. Susanne Münnich-Hessel: Ihre in- ternationalen, interkulturellen For- schungsaktivitäten zu Traumathera- pie, aber auch zu machtbezogener Gewalt mit diesen hochbelasteten Patient*innen erscheinen sehr wich- tig. Können sie uns was zu ihrem Projekt im Kongo erzählen? Dr. Crombach: In der Demokrati- schen Republik Kongo setze ich, im Namen von vivo und der Universi- tät Konstanz, gemeinsam mit einem Team von internationalen und kon- golesischen Kolleg*innen ein gro- ßes Projekt zur Verbesserung der therapeutischen Versorgung von geschlechtsspezifischer Gewalt be- troffenen und unter Traumafolge- störungen leidenden Personen um. In diesem Projekt trainieren wir Laientherapeut*innen aus Dorfge- meinschaften die NET zugunsten von ebendiesen anzuwenden. Jeder durchgeführte Fall wird von erfah- renen kongolesischen Experten der NET supervidiert. Wir haben bereits in mehreren Studien nachgewiesen, dass die NET auf diese Art und Wei- se disseminiert und erfolgreich an- gewendet werden kann. Mittlerweile bilden wir sogar die besten Laienthe- rapeut*innen der Dorfgemeinschaf- ten zu Supervisoren aus. Das lokale Supervisorenteam besteht derzeit aus 25 Personen und wir haben mehr als 170 aktive Laientherapeut*innen. Durchschnittlich behandeln wir ca. 330 Personen im Monat und haben seit Projektbeginn vor ca. 2 Jahren bereits mehr als 4500 NET-Therapien durchgeführt. Die Demokratische Republik Kongo hat in der Vergangenheit viele ge- walttätige Konflikte erlebt und bis heute sind verschiedene bewaffnete Gruppierungen aktiv. In der Folge kommt es immer wieder zu massi- ver Gewalt. Diese betrifft in der Re- gel nicht nur eine Person, sondern zumeist ganze Dorfgemeinschaften. Damit einher gehen auch hohe Raten an sexueller Gewalt und die Schwie- rigkeit, dass ehemalige Kombat- tant*innen irgendwann in ihre Dör- fer zurückkehren. Praktisch gesehen müssen daher Überlebende der Ge- walterfahrungen mit denjenigen zu- sammenleben, die in der Vergangen- heit u.a. schwere Gewalt angewendet haben. Diese Umstände tragen dazu bei, dass in den Dorfgemeinschaften oft Misstrauen und Vorurteile gegen- über Überlebenden von sexueller Gewalt, aber auch gegenüber den ehemaligen Kombattant*innen vor- liegen. Dadurch werden Stigmati- sierung und sozialer Ausschluss be- dingt, wodurch sich zum einen die Traumasymptomatik der Betroffenen verschlechtert und auch therapiebe- dingte Verbesserungen nur einge- schränkt zum Tragen kommen. Daher haben wir spezifisch für den Kontext der Demokratischen Republik Kongo einen gemeinschaftsorientierten An- satz entwickelt, um eine gemeinsa- me Erinnerungskultur zu fördern. Es geht darum, die Akzeptanz und Un- terstützung durch die soziale Grup- pe für die Betroffenen zu stärken. Diesen Ansatz nennen wir NETfacts: Die kontinuierliche Bereitstellung von individuellen traumatherapeuti- schen Behandlungen wird dabei mit Gruppeninterventionen kombiniert, welche darauf abzielen die Gemein- schaft zu informieren und die erlebte Gewalt besprechbar zu machen. NETfacts umfasst vier Umsetzungs- schritte: (1) Identifizierung der in Frage kom- menden Fälle für eine individuelle Traumabehandlung; (2) systematische Überweisung die- ser an die zur Verfügung stehenden Laientherapeut*innen in den Dorfge- meinschaften; (3) das Erstellen einer Lebenslinie der Gemeinschaft, auf der hoch emo- tionalen Erfahrungen symbolisiert werden, welche das gesamte Dorf be- troffen haben. Neben der Erkenntnis, dass die meisten bereits traumatische Erfahrungen gemacht haben, dient diese Sitzung auch der Psychoeduka- tion, um die Behandlungsmotivation der Betroffenen zu erhöhen. Darüber hinaus werden auch Personen mit subklinischen Symptomen, die sich von einem spezifischen Ereignis be- lastet fühlen, eingeladen eine präven- tive Einzelsitzung wahrzunehmen; (4) in mehreren darauffolgenden Ge- meinschaftssitzungen werden den Gemeindemitgliedern Narrative von traumatischen Erfahrungen präsen- tiert, die als kritisch und potenziell ge- waltverstärkend eingestuft werden, um eine Auseinandersetzung mit diesen auf der Gemeinschaftsebene zu erreichen. In Diskussionen über diese werden Ansätze gegen Gewalt von den Mitgliedern der Dorfgemein- schaft entwickelt. Die Akzeptanz in den Gemeinden war bisher überwäl- tigend, und es konnte bereits nach- gewiesen werden, dass NETfacts die Stigmatisierung und auch die Gewalt- ausübung in den Gemeinschaften deutlich reduziert sowie die soziale Anerkennung und Unterstützung für Überlebende erhöht. Susanne Münnich-Hessel: Sie sind ja nun hier Kammermitglied. Was wün- schen Sie sich von der Psychothera- peutenkammer? Dr. Crombach: Da häusliche Gewalt, einschließlich physischen, sexuel- len und emotionalen Missbrauchs, einen wesentlichen Faktor in der Entstehung psychischer Störungen darstellt, strebe ich an, diese Proble- matik auch im Saarland verstärkt ge- meinsam zu bewältigen. In diesem Sinne erhoffe ich mir eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der Psychothe- rapeutenkammer des Saarlandes, Kontakte mit Kolleg*innen, spannen- de Fortbildungsangebote, Koopera- tionsmöglichkeiten und einen wis- senschaftlich orientierten Austausch über präventive und kurative Inter- ventionsansätze. Susanne Münnich-Hessel: Herr Dr. Crombach, vielen Dank für das Ge- spräch. Wir freuen uns sehr, dass Sie nun unserer Psychotherapeutenkam- mer angehören! Uns ist es ein gro- ßes Anliegen Sie bei ihrem Wunsch nach Vernetzung und fachlichem Austausch zu unterstützen!